Der Anschlag auf Oslo und Utøya

 

Der Text ist am 25.07.2011 entstanden und im Juli 2018 nochmals überarbeitet worden. 

Der Schock kam am Samstag. Freitag wusste man noch nicht von den Ausmaßen, der dieser Anschlag genommen hatte.

Ich hatte damals in Oslo meine eigene WG, übernachtete aber regelmäßig auch bei Mama und BabyBruder (damals 23 jahre). Wie auch dieses mal. BabyBruder und ich blieben zu Hause, während Mama in die Bibliothek fuhr. BabyBruder und ich waren vier Kilometer nördlich vom Geschehnis, Mama zwei Kilometer westlich vom Geschehen. Niemand von uns hatte etwas gehört noch gespürt.

Der ursprüngliche Plan war es, sich mit Mama am Hauptbahnhof zu treffen.
Mama rief an und meinte, dass etwas im Stadtzentrum in die Luft geflogen sei, und deswegen die Möglichkeit bestünde, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr fahren werden. Wann geht hier schon mal was hoch? Zu dem Zeitpunkt bin ich davon ausgegangen, dass irgendein Haakon oder anderer Sven zwei Kabel falsch verbunden hatten und irgendetwas in die Luft gegangen ist. Passiert. Arbeitsunfall.

Meine Mitbewohnerin rief mich an um zu Fragen, ob alles in Ordnung mit uns sei. Sie war in der Zeit im größten Einkaufszentrum Oslo, dass zwischen Regierungsviertel und Hauptbahnhof liegt. Sie dachte erst, es wäre ein Erdbeben.

Wir mit BabyBruder sind also los. Mama fuhr von der Bibliothek auch los. Wir mit BabyBruder gingen in den Supermarkt um noch Wasser zu holen. Dort war das Radio an. Es war die Rede von einem Toten und mehreren Verletzten. Realisieren. Versuch nachzuvollziehen. Zu begreifen. Sollen wir auf Torshov (das ist der Stadtteil, in dem wir damals gewohnt haben) bleiben und Mama soll selber versuchen durchzukommen? Sollen BabyBruder und ich zum Hauptbahnhof, so dass im schlimmsten Fall alle drei im Zentrum festsitzten? Wir mussten aber so oder so zum Hauptbahnhof um geld abzuheben. Deswegen fiel die Entscheidung doch mit BabyBruder zum Hauptbahnhof zu fahren und dort Mama zu treffen.

Mama ruft an, erzählt von zerstörten Fenstern und, dass das Ausmaß ziemlich überwältigend sei. BabyBruder und ich setzen uns in die Tram Richtung Hauptbahnhof. Wieder Mama. Wir sollen uns beeilen, hier sieht es immer ungemütlicher aus.

BabyBruder und ich fahren in der Tram an der Legevakt, der Hauptnotaufnahme Oslos, vorbei. Ich werde unruhig. Vorm Haupteingang stehen schon Mediziner bereit und die Krankenwagen warten nur auf den nächsten Einsatz. Dann fahren wir in die Parallelstraße zur der Straße, die am meisten betroffen von dem Anschlag war, ein. Von weitem sehe ich schon Blaulichter. Mir wird Angst und Bange. Abgesperrt. Zerstörte Scheiben in dem kleinen Einkaufszentrum, wo wir öfters sind. Das Handynetz fängt auch schon an zu spinnen.

Endlich am Hauptbahnhof angekommen, Mama ins Schlepptau genommen und zur Bank. Ich warte auf eine Ansage, dass der Hauptbahnhof evakuiert wird und wundere mich, dass die Geschäfte entweder schon zu haben oder zu machen (ich erinnere, der Anschlag passierte am Nachmittag, die Geschäfte haben in Oslo bis spät Abends offen). Geld abgehoben. BabyBruder will noch einen Burger von McDonalds. Der hat zu. Das gefällt uns gar nicht. Hier stimmt etwas gewaltig nicht. Weiterhin keine Ansage wegen Bahnhofsevakuierung, wir sind irgendwie die allerletzten im Bahnhofsgebäude.

Wir verlassen den Bahnhof und gehen in Richtung Tramhaltestelle. In dem Moment ruft mein Onkel aus Polen an. Ich nehme ab und fange gleich an zu reden. Uns geht es gut. Uns ist nichts passiert. Es ist ziemlich unangenehm. Wir hauen jetzt nach Hause ab. Mein Cousin aus London rief in Polen, als er von den Anschlägen in Oslo hörte. Mein Onkel hat eine Stunde gebraucht, um zur mir oder zu Mama durchzukommen.

Jetzt sehe ich, dass die Karl Johansgata, die Haupteinkaufsstraße Oslos, abgesperrt ist. Bahnhof zu, Karl Johann abgesperrt. Man merkt, die Behörden wollen die Menschen aus der Stadtmitte raushaben, es gibt aber keine Ansagen, um keine Panik zu schüren.

Wir fahren mit der Tram zurück nach Hause. Scherben, Blaulicht, verlassene Straßen. Ich schau kurz auf Facebook und es geht in einem Strang, Status nach Status:
Uns geht es gut, wie geht es Euch, ist alles bei Euch in ordnung?

Zu Hause haben wir kein Internet (wir sind gerade frisch umgezogen), kein Fernseher (haben wir seit Jahren nicht), aber mein Handy kann Internet. Wir schauen immer wieder auf die Homepage der Aftenposten (Norwegens größte Zeitung). Deren Gebäude wird evakuiert, es wird klar, dass es ein Anschlag war, vielleicht einer mit islamistischen Hintergrund. Dann fängt diese Schiesserei auf Utøya an. Wie ernst es dramatisch die Geschehnisse auf Utøya sind, wird uns erst am nächsten morgen klar.

Erst entscheide ich mich bei Mama und BabyBruder zu übernachten, weil ich befürchte, dass die Personennachverkehr zum Stillstand kommt. Nach der Schießerei habe ich einfach Angst, dass noch etwas passiert und ich muss nicht unbedingt mittendrin sein.

Ich kriege eine SMS von einer guten freundin aus München. Sie macht sich Sorgen. Ich überlege noch krampfhaft, wer so sich in dem Viertel aufhält. Oh mein Gott! Eva! Sie arbeitet dort doch ehrenamtlich, gleich um die Ecke. Lieber nur vielleicht existierender Gott, mach, dass sie heute nicht im Büro war. Sie war nicht im Büro, aber in der Nähe. Ihr ist nichts passiert, schreib Ewa, der Mama auch, die hat nur Glas abgekommen. Stimmt, Evas Mama arbeitet in der Bibliothek, die dort im Viertel ist (die nicht dieselbe ist, in der meine Mama war).

Wir gehen alle mit dem Wissen ins Bett, dass sieben Personen im Zentrum umgekommen sind, paar auf der Insel und wahrscheinlich Islamisten dahinterstecken.

Am nächsten morgen geh ich ins Internet und lese, dass vor einer Stunde die Polizei bekannt gegeben hat, dass 69 Jugendliche auf der Insel umgekommen sind.

In der Stadt patrouillieren Soldaten, bewaffnet.

BabyBruder fängt sich an Sorgen zu machen, weil ihm einfällt, dass ein Kumpel von ihm in der Jugendorganisation der Arbeiterpartei ist. Es stellt sich heraus, dass der Kumpel tatsächlich auf der Insel war, ihm geht es glücklicherweise gut. Ich gehe Zeitungen holen, die gestrige Abendausgabe der Aftenposten ist ja nicht rausgekommen, weil die das Gebäude der Aftenposten evakuieren mussten, da es im Regierungviertel steht.

Ich merke zum ersten Mal, wie sehr ich mich als Osloanerin fühle. Egal, wer dahintersteckt, irgendwelche Arschlöcher haben meine Stadt angegriffen! In dem Teil von Oslo, der getroffen wurde, ist stark geprägt von Multikulturalität. Asiatische Läden, türkische Restaurants, arabische Cafés. Wir verbringen dort sehr viel zeit, u.a befindet sich dort unser Lieblingscafé. Das letzte mal waren wir dort zwei Tage vor dem Anschlag. Wenn BabyBruder und ich in der früh nicht so getrödelt hätten, wären wir in unserem Lieblingscafés zur Zeit des Anschlages gewesen.

Wie ging’s weiter am Tag Eins nach dem Anschlag? BabyBruder ist mit einem Kumpel losgezogen, Mama musste in die Arbeit und ich bin zurück in meine WG.

Ich musste durch die Stadtmitte, um zur meiner WG zu kommen. Es war gruselig. Soldaten, bewaffnet. Zwei kleine Einkaufszentren und das größte Einkaufszentrum Oslos geschlossen. Viele Geschäfte zu. Klar, wenn die Geschäfte, Bars, Restaurants, Pubs und Kneipen zu haben, kommen die Menschen erst gar nicht in die Stadt.

Zu Hause angekommen, mache ich mir einen Tee und fange an mir die Bilder und Filme im Internet anzuschauen. Das war der Moment, wo ich anfing mich richtig scheiße zu fühlen. Wo mir klar wurde, was passiert ist.

Ich musste auch Mails beantworten, es ist überraschend, wer sich in solchen Momenten meldet. Und wer sich nicht meldet. Das eine freut einen riesig, dass andere gibt einem zu denken. Dann gibt es noch die mit einer Sondergenehmigung.

Ich wusste, dass es ein Risiko ist. Ich wusste aber auch, dass in der Stadt viele Soldaten waren. Deswegen habe wir uns mit BabyBruder getraut, einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Es hat mir geholfen. Aber es tat auch weh. Hier habe ich meine Fleecejacke gekauft und ein Fenster ist zerbrochen. Da habe ich meine hübschen Schuhe her, das ganze Schaufenster ist hin. Und natürlich machen wir uns alle Sorgen um unsere Lieblingscafé.

Wie schon oben erwähnt, arbeitete Mama zu diesem Zeitpunkt in einem Altersheim. Einer ihrer Patientinnen (Alter: 101) meinte, dass alles würde sie an den Krieg erinnern. Mama konnte darauf nur erwidern, dass alles Mama an den Kriegszustand (Volksrepublik Polen 1981-1983) erinnern würde.

Ich mache mich auf den Weg nach Ensjø. Auf dem Bahnsteig bei der T-Bahn warteten max. zehn Leute. Um diese Zeit warten so viele Leute auf die letzten T- Bahnen, dass die zehn Meter lange Bank besetzt ist. Heute sind die Leute weniger raus. In der Bahn macht jemand das Fenster mit einem Riesenknall zu. Mir bleibt das Herz stehen. Jetzt merk ich erst, dass das alles doch nicht so glatt an mir vorbeigegangen ist, wie ich gedacht hatte.

Es klingt jetzt etwas egoistisch, aber es nervt mich in einer Welt leben zu müssen, in der ich mir Sorgen um mein Lieblingscafé machen muss. In einer Welt, wo der Warhammerlanden meines Bruders alle Scheiben kaputt sind. Ich mag es nicht, dass meine Stadt jetzt ständig von BBC bis CNN in den Medien ist. Ich kann nicht mehr Garn oder ein Metermaß besorgen und in die nette Pizza-Kebabkneipe kommt man auch nicht, weil die Straße abgesperrt ist. Der Alltag wurde einem einfach auf dem Kopf gestellt und das, obwohl man bewusst in einer Stadt wohnt, wo so was nie passiert.

Heute, Sonntag, waren wir gegen elf Uhr abend an der Domkirche. Kerzen wollte ich keine mehr anzünden und Blumen auch keine mehr hinlegen. Haben wir schon letztes Mal im Zusammenhang mit Tragödie von Smolensk machen müssen. Es hätte mich nur noch mehr daran erinnert, dass die letzte Tragödie gar nicht so lange her ist.

Der Teppich aus Blumen und Kerzen war natürlich überwältigend. Die Straßen sind nicht mehr durch Soldaten und Polizeiband, sondern durch Soldaten und Eisenzäune abgesperrt. Die Leute stehen auch nicht mehr bei den Absperrungen, wie es gestern der Fall war. Gestern hat ja jeder kurz in die Straßen reinschauen wollen, die Soldaten waren so nett und ruhig. Haben alle Fragen beantwortet und nicht herumgeschupst und zurückgedrängt.

Oslo ist immer noch Oslo. Die Leute halten zusammen. Man spürt keinen Hass und nicht wirklich Angst oder Unruhe. Heute waren mehr Leute auf der Straße und in den Kneipen. Auch das Parlament und das Schloss ist nicht mehr umstellt.

Morgen soll es einen Zug durch die Stadt mit Rosen geben, der an einem Platz enden soll, der in dem abgesperrten Teil Oslos liegt. Kehrt langsam wieder Normalität in den Alltag?

Was ich mir und Euch wünsche.

Hinterlasse einen Kommentar