Der Anschlag auf Oslo und Utøya

 

Der Text ist am 25.07.2011 entstanden und im Juli 2018 nochmals überarbeitet worden. 

Der Schock kam am Samstag. Freitag wusste man noch nicht von den Ausmaßen, der dieser Anschlag genommen hatte.

Ich hatte damals in Oslo meine eigene WG, übernachtete aber regelmäßig auch bei Mama und BabyBruder (damals 23 jahre). Wie auch dieses mal. BabyBruder und ich blieben zu Hause, während Mama in die Bibliothek fuhr. BabyBruder und ich waren vier Kilometer nördlich vom Geschehnis, Mama zwei Kilometer westlich vom Geschehen. Niemand von uns hatte etwas gehört noch gespürt.

Der ursprüngliche Plan war es, sich mit Mama am Hauptbahnhof zu treffen.
Mama rief an und meinte, dass etwas im Stadtzentrum in die Luft geflogen sei, und deswegen die Möglichkeit bestünde, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr fahren werden. Wann geht hier schon mal was hoch? Zu dem Zeitpunkt bin ich davon ausgegangen, dass irgendein Haakon oder anderer Sven zwei Kabel falsch verbunden hatten und irgendetwas in die Luft gegangen ist. Passiert. Arbeitsunfall.

Meine Mitbewohnerin rief mich an um zu Fragen, ob alles in Ordnung mit uns sei. Sie war in der Zeit im größten Einkaufszentrum Oslo, dass zwischen Regierungsviertel und Hauptbahnhof liegt. Sie dachte erst, es wäre ein Erdbeben.

Wir mit BabyBruder sind also los. Mama fuhr von der Bibliothek auch los. Wir mit BabyBruder gingen in den Supermarkt um noch Wasser zu holen. Dort war das Radio an. Es war die Rede von einem Toten und mehreren Verletzten. Realisieren. Versuch nachzuvollziehen. Zu begreifen. Sollen wir auf Torshov (das ist der Stadtteil, in dem wir damals gewohnt haben) bleiben und Mama soll selber versuchen durchzukommen? Sollen BabyBruder und ich zum Hauptbahnhof, so dass im schlimmsten Fall alle drei im Zentrum festsitzten? Wir mussten aber so oder so zum Hauptbahnhof um geld abzuheben. Deswegen fiel die Entscheidung doch mit BabyBruder zum Hauptbahnhof zu fahren und dort Mama zu treffen.

Mama ruft an, erzählt von zerstörten Fenstern und, dass das Ausmaß ziemlich überwältigend sei. BabyBruder und ich setzen uns in die Tram Richtung Hauptbahnhof. Wieder Mama. Wir sollen uns beeilen, hier sieht es immer ungemütlicher aus.

BabyBruder und ich fahren in der Tram an der Legevakt, der Hauptnotaufnahme Oslos, vorbei. Ich werde unruhig. Vorm Haupteingang stehen schon Mediziner bereit und die Krankenwagen warten nur auf den nächsten Einsatz. Dann fahren wir in die Parallelstraße zur der Straße, die am meisten betroffen von dem Anschlag war, ein. Von weitem sehe ich schon Blaulichter. Mir wird Angst und Bange. Abgesperrt. Zerstörte Scheiben in dem kleinen Einkaufszentrum, wo wir öfters sind. Das Handynetz fängt auch schon an zu spinnen.

Endlich am Hauptbahnhof angekommen, Mama ins Schlepptau genommen und zur Bank. Ich warte auf eine Ansage, dass der Hauptbahnhof evakuiert wird und wundere mich, dass die Geschäfte entweder schon zu haben oder zu machen (ich erinnere, der Anschlag passierte am Nachmittag, die Geschäfte haben in Oslo bis spät Abends offen). Geld abgehoben. BabyBruder will noch einen Burger von McDonalds. Der hat zu. Das gefällt uns gar nicht. Hier stimmt etwas gewaltig nicht. Weiterhin keine Ansage wegen Bahnhofsevakuierung, wir sind irgendwie die allerletzten im Bahnhofsgebäude.

Wir verlassen den Bahnhof und gehen in Richtung Tramhaltestelle. In dem Moment ruft mein Onkel aus Polen an. Ich nehme ab und fange gleich an zu reden. Uns geht es gut. Uns ist nichts passiert. Es ist ziemlich unangenehm. Wir hauen jetzt nach Hause ab. Mein Cousin aus London rief in Polen, als er von den Anschlägen in Oslo hörte. Mein Onkel hat eine Stunde gebraucht, um zur mir oder zu Mama durchzukommen.

Jetzt sehe ich, dass die Karl Johansgata, die Haupteinkaufsstraße Oslos, abgesperrt ist. Bahnhof zu, Karl Johann abgesperrt. Man merkt, die Behörden wollen die Menschen aus der Stadtmitte raushaben, es gibt aber keine Ansagen, um keine Panik zu schüren.

Wir fahren mit der Tram zurück nach Hause. Scherben, Blaulicht, verlassene Straßen. Ich schau kurz auf Facebook und es geht in einem Strang, Status nach Status:
Uns geht es gut, wie geht es Euch, ist alles bei Euch in ordnung?

Zu Hause haben wir kein Internet (wir sind gerade frisch umgezogen), kein Fernseher (haben wir seit Jahren nicht), aber mein Handy kann Internet. Wir schauen immer wieder auf die Homepage der Aftenposten (Norwegens größte Zeitung). Deren Gebäude wird evakuiert, es wird klar, dass es ein Anschlag war, vielleicht einer mit islamistischen Hintergrund. Dann fängt diese Schiesserei auf Utøya an. Wie ernst es dramatisch die Geschehnisse auf Utøya sind, wird uns erst am nächsten morgen klar.

Erst entscheide ich mich bei Mama und BabyBruder zu übernachten, weil ich befürchte, dass die Personennachverkehr zum Stillstand kommt. Nach der Schießerei habe ich einfach Angst, dass noch etwas passiert und ich muss nicht unbedingt mittendrin sein.

Ich kriege eine SMS von einer guten freundin aus München. Sie macht sich Sorgen. Ich überlege noch krampfhaft, wer so sich in dem Viertel aufhält. Oh mein Gott! Eva! Sie arbeitet dort doch ehrenamtlich, gleich um die Ecke. Lieber nur vielleicht existierender Gott, mach, dass sie heute nicht im Büro war. Sie war nicht im Büro, aber in der Nähe. Ihr ist nichts passiert, schreib Ewa, der Mama auch, die hat nur Glas abgekommen. Stimmt, Evas Mama arbeitet in der Bibliothek, die dort im Viertel ist (die nicht dieselbe ist, in der meine Mama war).

Wir gehen alle mit dem Wissen ins Bett, dass sieben Personen im Zentrum umgekommen sind, paar auf der Insel und wahrscheinlich Islamisten dahinterstecken.

Am nächsten morgen geh ich ins Internet und lese, dass vor einer Stunde die Polizei bekannt gegeben hat, dass 69 Jugendliche auf der Insel umgekommen sind.

In der Stadt patrouillieren Soldaten, bewaffnet.

BabyBruder fängt sich an Sorgen zu machen, weil ihm einfällt, dass ein Kumpel von ihm in der Jugendorganisation der Arbeiterpartei ist. Es stellt sich heraus, dass der Kumpel tatsächlich auf der Insel war, ihm geht es glücklicherweise gut. Ich gehe Zeitungen holen, die gestrige Abendausgabe der Aftenposten ist ja nicht rausgekommen, weil die das Gebäude der Aftenposten evakuieren mussten, da es im Regierungviertel steht.

Ich merke zum ersten Mal, wie sehr ich mich als Osloanerin fühle. Egal, wer dahintersteckt, irgendwelche Arschlöcher haben meine Stadt angegriffen! In dem Teil von Oslo, der getroffen wurde, ist stark geprägt von Multikulturalität. Asiatische Läden, türkische Restaurants, arabische Cafés. Wir verbringen dort sehr viel zeit, u.a befindet sich dort unser Lieblingscafé. Das letzte mal waren wir dort zwei Tage vor dem Anschlag. Wenn BabyBruder und ich in der früh nicht so getrödelt hätten, wären wir in unserem Lieblingscafés zur Zeit des Anschlages gewesen.

Wie ging’s weiter am Tag Eins nach dem Anschlag? BabyBruder ist mit einem Kumpel losgezogen, Mama musste in die Arbeit und ich bin zurück in meine WG.

Ich musste durch die Stadtmitte, um zur meiner WG zu kommen. Es war gruselig. Soldaten, bewaffnet. Zwei kleine Einkaufszentren und das größte Einkaufszentrum Oslos geschlossen. Viele Geschäfte zu. Klar, wenn die Geschäfte, Bars, Restaurants, Pubs und Kneipen zu haben, kommen die Menschen erst gar nicht in die Stadt.

Zu Hause angekommen, mache ich mir einen Tee und fange an mir die Bilder und Filme im Internet anzuschauen. Das war der Moment, wo ich anfing mich richtig scheiße zu fühlen. Wo mir klar wurde, was passiert ist.

Ich musste auch Mails beantworten, es ist überraschend, wer sich in solchen Momenten meldet. Und wer sich nicht meldet. Das eine freut einen riesig, dass andere gibt einem zu denken. Dann gibt es noch die mit einer Sondergenehmigung.

Ich wusste, dass es ein Risiko ist. Ich wusste aber auch, dass in der Stadt viele Soldaten waren. Deswegen habe wir uns mit BabyBruder getraut, einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Es hat mir geholfen. Aber es tat auch weh. Hier habe ich meine Fleecejacke gekauft und ein Fenster ist zerbrochen. Da habe ich meine hübschen Schuhe her, das ganze Schaufenster ist hin. Und natürlich machen wir uns alle Sorgen um unsere Lieblingscafé.

Wie schon oben erwähnt, arbeitete Mama zu diesem Zeitpunkt in einem Altersheim. Einer ihrer Patientinnen (Alter: 101) meinte, dass alles würde sie an den Krieg erinnern. Mama konnte darauf nur erwidern, dass alles Mama an den Kriegszustand (Volksrepublik Polen 1981-1983) erinnern würde.

Ich mache mich auf den Weg nach Ensjø. Auf dem Bahnsteig bei der T-Bahn warteten max. zehn Leute. Um diese Zeit warten so viele Leute auf die letzten T- Bahnen, dass die zehn Meter lange Bank besetzt ist. Heute sind die Leute weniger raus. In der Bahn macht jemand das Fenster mit einem Riesenknall zu. Mir bleibt das Herz stehen. Jetzt merk ich erst, dass das alles doch nicht so glatt an mir vorbeigegangen ist, wie ich gedacht hatte.

Es klingt jetzt etwas egoistisch, aber es nervt mich in einer Welt leben zu müssen, in der ich mir Sorgen um mein Lieblingscafé machen muss. In einer Welt, wo der Warhammerlanden meines Bruders alle Scheiben kaputt sind. Ich mag es nicht, dass meine Stadt jetzt ständig von BBC bis CNN in den Medien ist. Ich kann nicht mehr Garn oder ein Metermaß besorgen und in die nette Pizza-Kebabkneipe kommt man auch nicht, weil die Straße abgesperrt ist. Der Alltag wurde einem einfach auf dem Kopf gestellt und das, obwohl man bewusst in einer Stadt wohnt, wo so was nie passiert.

Heute, Sonntag, waren wir gegen elf Uhr abend an der Domkirche. Kerzen wollte ich keine mehr anzünden und Blumen auch keine mehr hinlegen. Haben wir schon letztes Mal im Zusammenhang mit Tragödie von Smolensk machen müssen. Es hätte mich nur noch mehr daran erinnert, dass die letzte Tragödie gar nicht so lange her ist.

Der Teppich aus Blumen und Kerzen war natürlich überwältigend. Die Straßen sind nicht mehr durch Soldaten und Polizeiband, sondern durch Soldaten und Eisenzäune abgesperrt. Die Leute stehen auch nicht mehr bei den Absperrungen, wie es gestern der Fall war. Gestern hat ja jeder kurz in die Straßen reinschauen wollen, die Soldaten waren so nett und ruhig. Haben alle Fragen beantwortet und nicht herumgeschupst und zurückgedrängt.

Oslo ist immer noch Oslo. Die Leute halten zusammen. Man spürt keinen Hass und nicht wirklich Angst oder Unruhe. Heute waren mehr Leute auf der Straße und in den Kneipen. Auch das Parlament und das Schloss ist nicht mehr umstellt.

Morgen soll es einen Zug durch die Stadt mit Rosen geben, der an einem Platz enden soll, der in dem abgesperrten Teil Oslos liegt. Kehrt langsam wieder Normalität in den Alltag?

Was ich mir und Euch wünsche.

Radom. . . und ich putzte die Fenster/ A ja myłam okno.

Weiter unten ausschnitte aus dem text. Das ganze essay samt politisch- und kulturgeschichtlichem hintergrund ist hier zu finden, also als PDF herunterlandbar:

Der ganz text ist hier zu finden.

Ohne jegliche vorwahrnung brach es über uns herein.Freeze, I’m Ma Baker, put your hands in the air! Gimme all your money! This is the story of Ma Baker, the meanest cat from old Chicago town. Üblicherweise wurden in dieser kneipe die aktuellen hits abgespielt, dementsprechend war ich leicht irritiert discopop aus dem 1970igern zu hören. Ich warf blick auf den bildschirm und entdeckte im hintergrund der bühne eine neonlichtinschrift; außer dem ersten buchstaben erkannte ich alle. Diese ergaben:

O-P-O-T 1979.



Mooggie erzählt. . .

Zum einem: Nicht in Moskau, sondern in Leningrad. Radom war im jahre 1976, Bonny M kam 1979. Die zwei sachen haben null miteinander zu tun.
Nun, was die beliebtheit von Bonny M betrifft:

Da geht es nicht nur um Rasputin. Klar, dass war auch so ein ha-ha-ha, zensur und dergleichen. Es ging darum — mag sein, dass ich mich immer wieder wiederhole, ich weiß ja selber nicht mehr, was Du weißt, was Du nicht weißt. Ich erzähl einfach, wie es war.

Atmet tief ein.

In der zeit von Gierek, also anfang dier 1970iger, also die Küste ’70 bis Solidarność ’80 auf der einen seite die Propaganda Sukcesu (Erfolgspropaganda), staatskredite, dank derer es bunte strumpfhosen und weiße schokolade gab, aber auch so ein bisschen die möglichkeit in den Westen auszureisen. Und diese sehnsucht nach dem Westen. Du musst verstehen, alles, was westlich war, das war wie eine pralinenschachtel und ein bombon in glitzerpapier. Naja, und so ein Bonny M im vergleich zu diesen breslauer platenbauten und den in sich zusam- menfallenden altbauten, von den deutschen hinterlassen, und den kaputten bürgersteigen…

Kann gut sein, dass Du Dich noch an so ein Polen erinnern kannst, aus den anfängen der 1990iger. Aber das hier, das war nochmal schlimmer. Denn, als wir zum ersten mal in Polen waren, da gab es wenigstens noch diesen sich anbahnenden kapitalismus, paar bunte geschäfte, solche sachen halt. Aber das hier, das war einfach nur grau in grau in grau. Und im vergleich dazu so eine bunte band, wie Bonney M — das war einfach nur super!

Die tatsache, dass die überhaupt nach Polen gekommen sind, ich habe Dir das aber schon mal erklärt. Ich weiß, Du kannst das nicht mehr hören! Damit Du jedoch verstehst — um dies zu verstehen — was die leute einfach nicht verstehen können; man muss verstehen, was das bedeutet, dieser Eiserne Vorhang. Dieser Eiserne Vorhang, der war schon etwas durchlässig geworden. Aber weißt, alles, was Westlich, weißt, deswegen kamen nach Polen diese drittklas- sigen bands, zu den festivals bspw in Sopot, bands, die niemand bei denen zu hause kannte. Irgendwelche niederländischen oder andere englischen. Und weißt, bei uns alles, was anderes artig war, bunt war, westlich war — das war einfach nur super. So kam es zu Bonney M. Nicht nur Rasputin und überhaupt hat das nichts mit Radom zu tun.

Du, dass war so — Du musst Dir das so vorstellen — stolpert über ihre eigenen wörter es ging darum sammelt sich. Die erste form des protestes gegen das Polnische Fernsehen war der sogenannte Schauspielerstreik während des Kriegszustandes gemeint ist das Kriegsrecht zwischen 1981 und 19835. Ein thema, über welches, soweit ich weiß, Du sehr viel weißt. Generell kam es niemanden in den sinn kein fernseh zu schauen. Es gab halt nichts anderes zur auswahl. Es gab nur zwei fernsehsender, die leute schauten sogar die nachrichten um halbwegs mitzubekommen, was in der welt vorging. Und filme hat man geschaut. Mehr gab’s halt nicht.

Was nun Radom angeht, das war eine ganz einfache sache. Wenn man in diesem land lebte
und halbwegs geistesgegenwärtig war, da wusste man auch schon mit sechszehn was los war. Besonders, wenn man in der Grudzioncka Straße6 wohnte. Ich weiß es noch, wie gestern. Schema F. Preiserhöhung — streiks — und dann lösung des problems. So war es 1956 in Posen, so war es 1970 an der Küste. Meistens lief es so ab: Streiks, dann paar tote und schließlich nahm die regierung die preiserhöhungen zurück.

Überhaupt, einfach nur dieses Schema F, welches sich immer und immer wieder wiederholte:
Wirtschaftliche probleme führten zu gesellschaftlichen unruhen. Die regierung versuchte irgendwie damit fertig zu werden. Einer ging, der nächste kam.
Und im jahre 1976 — ich weiße es noch, als ob es gestern gewesen wäre. Das war für mich ein wirklich erschütterndes erlebnis. Im mittleren zimmer in der Grudzionska — heute würde es man es als wohnzimmer bezeichnen — meine Mama war sicherlich da, und Frau Mecia, wahrscheinlich auch Frau Adela, die Mama von Mecia. Wahrscheinlich auch Frau Krajewska, kurz gesagt, das übliche ründchen von nachbarinnen. Der fernseher war an, aber das waren noch nicht die abendnachrichten, das muss am nachmittag gewesen sein.
Ich putzte die fenster, weißt Du? Mama hat mich gebeten die fenster zu putzen. Nun stand ich da und putze die fenster so vor mich hin, während der rest der mädels vor dem fernseher saßen.
Und nun trat Jaroszewicz vor. Das war der premierminister. Dieses mal ging es um zucker. Denn damals an der Küste im jahre 1970 — da ging es um’s fleisch. Nun gingen die preise für zucker um hundert prozent hoch. Auch für andere lebensmittel, aber hauptsächlich ging es um den zuckerpreis. Schon da wusste man, was passieren und was das bringen wird. Eben dieser Radom und dieser Ursus. Wieso gerade Radom? Das war jetzt keine bekannte stadt, eine stadt mittleren größe. Da gab es einfach viele große fabriken und dort riss den leuten der geduldsfaden. Einmal riss den leuten der faden in Posen, einmal an der Küste und diesmal riss den leuten der geduldsfaden in Radom.
Naja, und dieses Radom, das war ein massaker auf ganzer linie. Die regierung ruderte schnell wieder zurück, von dem, was ich weiß, sahen die ganz von den preiserhöhungen ab. Es fing jedoch so eine hetze an, an so eine, ehrlich — ich habe die aufstände an der Küste im 1970 mitbekommen. Da kam alles recht schnell wieder zur ruhe. Klar, es gab 1970 tote, aber hier, 1976 in Radom, das war einfach nur noch der horror. Im fernsehen von morgens bis abends nur diese propaganda gegen die arbeiter aus Ursus und Radom. Daher entstammt auch KOR — Komitet Obrony Robotników. Die arbeiter wurden geuä

ält, gefeuert und auf fürchterlichste art und weise verfolgt. Verhaftet wurden sie und jegliche lebensgrundlage wurde ihnen genommen.
Die waren wehrlos und nicht genug. Ich weiß noch, wie sehr uns das mit unserer mädchenclique mitnahm. Man trieb arbeiter zusammen, bspw. in die Jahrhunderthalle in Breslau. Man
trieb sie zu kundgebungen zusammen. Und auf diesen kundgebungen! Ich sag Dir, dass war die reinste Goebbelspropaganda! Die leute standen nur so da — parolen — plakate — und alle riefen „Ihr störenfriede und provokateure aus Radom!“, dass war der hauptvorwurf. Man schrie irgendwelche parlonen, alle in reih und glied, der applaus in reih und glied. Das war nicht mehr auszuhalten! Ich war fix und fertig.

Dieses mal zog man weder die jugend, noch die studenten mit rein, mit den letzteren gab es eh immer nur probleme. Man hetzte arbeiter auf arbeiter, das war das fürchterliche! Das lief die ganze zeit im fernsehen und alle nur „wir unterstützen den Genossen Gierek“, „Weg mit den störenfrieden aus Radom“. Ich weiß nicht mehr die ganzen parolen, man kann das sicherlich noch nachschlagen.

Aber es war einfach nur furchtbar. Furchtbar und grauenhaft.

Auf den Dritten darfst Du Singel sein

Dieser Text ist in drei Phasen entstanden. Ich fing an an ihm im Jahre 2004 zu arbeiten, kam im Januar 2011 auf ihn wieder zurück und schloss ihn im Mai 2018 ab. 

Warum spielen die Kinder nicht mit mir, obwohl ich Atombomben esse? Schon die Vespa schrieb in ihren vorchristlichen Werken, dass der Verzehr von nuklearen Waffen, besonders in Hinblick auf den Eurostabilitätspakt, nicht zu empfehlen sei. Nachdem die Vespa das Werk über die Behandlung von nuklaren Gegenständen im kulinarischen Bereich publiziert hatte, stellte sie fest, dass auf Facebook sehr merkwürdige Menschen wohnen. Deswegen entschied sie sich mit Rüdiger Oktave eine Runde Dampfmaschieneflipper zu spielen. Die Dampfmaschienenflippermaschiene schnarrchte wie verrückt. So kam es, dass die Vespa sich dazu entschied in der Mikrowelle weiterzuschlafen. Dort war leider kein Platz mehr, weil ein Pfannkuchen gekocht wurde. Glücklicherweise kam gleich die Limon und holte den Pfannkuchen. Nun konnte die Vespa in Ruhe weiterpennen.

Während die Limon ihren Pfannkuchen aß, sah sie sich die neue Kollektion von David Beckham an und stellte überrascht fest:
— Ne, da dachte ich mein ganzes Leben, ich würde Pfannkuchen machen, dabei ist es ein Rezept für Crepes, dass ich immer hernehme!

Vespa schlief in der Mikrowelle und Limon schaute Internet. Wieso waren die in einer Wohnung mitten in der Nacht? Weil der Lila Himmel weinte. Glücklicherweise tranken beide Kaffee ganz gerne auch mit Konservenmilch. Der Boden müsste mal wieder gewaschen werden. Leider war weder Limon noch Verspa in diesem Bereich geschult worden, für Bodenwäsche sei ja die Hotline respektive Kundbetreung zuständig. Dabei hatten beide studiert gehabt.

Was sollte nun mit der Entwiederverbeamtung von Rüdiger Oktaven passieren? Eine Druckgeräuschschallwald hatte er ja eingebauen lassen. In welche Fahrrichtung sollte er sich bewegen? Schließlich wurde in Berlin überall gebaut, nur nicht auf dem Flughafen, welcher ein großes Optimierungpotenzial hatte. Dies war auch das Thema des Gottesdienstes, an dem Rüdiger und die Vespa am vorherigen Tag teilgenommen hatte. Die Vespa merkte an, dass die Chinesen einen Flughafen innerhalb eines Monats bauen könnten, Erdogan hatte den größten Flughafen der Welt gebaut. Rüdiger Oktaven erboste sich: J.M.D. hatte Autobahnen gebaut — bräuchte man also einen Diktatur, um ein Bauprojekt erfolgreich abschließen zu können? Vespa kreierte darauf folgende Hypothese:
Das Zeichen einer funktionierenden Demokratie ist, dass kein Flughafen gebaut werden kann. Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, dass sowohl der Autor, wie auch der Interpret sich irren können.

In der Zwischenzeit fing Limon an Bass-ukulele nach Noten zu spielen, und zwar nach Banknoten. Denn er wollte keinen briefkasten, in den eingebrochen werden konnte.
In diesem Briefkasten war eine Atombombe zu finden, welcher in diesem Fall unnütz geworden und zum Verzehr bestimmt war. Die grundgesetzliche Verfassung von Limon war nach dem Briefkasteneinbruch selbstverständlich im Keller. Die Vespa begab sich schließlich in den Keller auf der Suche nach der Limonverfassung, wo er auf Rüdiger Oktaven stieß, welcher verkündete:
— Die Edith, also die gehört mir.

Ferajntes Ojropa

Dieser text ist im herbst 2017 entstanden. 

 

– Was bin ich nun für Dich? Polin, ne?
Ich hätte ja sehr viele antworten erwartet, aber nicht die:
– Deutsch. Für mich bist Du deutsch.
– Wieso?
– Weil ich Dich bis jetzt nur deutsch erlebt habe.

Überraschend. Drei wochen vorher wurde ich als Polin bezeichnet. Während ich meinen polnischen bekannten von der arbeit versucht habe zu erklären, dass ich mit dem Polen von heute so recht wenig zu tun hätte. Ich bin ein kind der polnische emigration und meinen alltag bewältige ich am besten in der Bundesrepublik. Nein, nein, klar, ich würde bisschen merkwürdig sprechen, aber ich würde voll hier den polnischen geist spüren, weil ich wesentlich lockerer drauf wäre, als Deutsche, und schnapps wie keine andere tränke. In meinem polnischen bekanntenkreise kenne man mich nur von meiner polnischen seite her, eine deutschen gebe es doch nicht wirklich.

Ein halbes jahr später. Szenerie: Man unterhält sich im kreise von Bundesbürgern. Ungefähr zwei stunden ging es um die jetzige regierung in Polen. Für die ich mich rechtfertigen sollte, durfte. Am ende des abends stellte ich erneut die frage:
Als was nimmt man mich wahr?
Ganz klar, Deutsche.

Zur zeit des Dritten Reiches war meine familie auf der anderen seite der Oder. Mit Nazisv hatten wir schon zu tun gehabt:
Mein urgroßvater väterlicherseits ist in Oraninenburg umgekommen, seine tochter war zwangsarbeiterin in einer munitionsfabrik irgendwo in Deutschland, der großvater mütterlicherseits wurde von der Gestapo gefoltert. Jedoch gerade – und ja, ich merke selber einen widerspruch darin –, weil ich mich auch
als Deutsche fühle, halte ich es für meine aufgabe sich der geschichte des Dritten Reiches bewusst zu sein.
Klar, dieses bewusstsein bekamen die Deutschen auch dank der hilfe der US-Amerikaner, stichwort Nürnberger Prozesse. Diesen denkanstoss hatten weder die Franzosen, noch die Skandinavier, auch die Österreicher stellen sich gerne als eher als opfer, als als täter da. Diese aufarbeitung, das bewusstsein der verantwortung für die katastrophe genannt I. und II. weltkrieg; für mich ist das ganz klar ein teil deutscher identität. Im positiven sinne. Zum genozid kommt es immer wieder in der geschichte der menschheit, aber, dass sich das tätervolk letztendlich dazu bekennt und versucht daraus zu lernen. Ich finde, da kann man ruhig etwas stolz auf sich sein.

Oslo hat was schönes an sich. Weil ich dort als ausländerin wahrgenommen werde. Total. Ich habe einen deutschen akzent, eine polnische satzmelodie, jeder türkische oder oder ein anderer pakistanischer supermarkt nimmt mich als ihre zugehörig an.

Nicht so beim Türken in Badstraße. Weiß, kein akzent im deutschen, in der kasse dank schee-merci-auf wiederschauen. Ich bin hier nicht mal ausländerin, weil ich kein ausländisch spreche. Obwohl ich mich auch als ausländerin fühle und als solcher gerne auch wahrgenommen werden möchte. Auch das ist ein teil meiner identität.

Der oikos. Ein begriff aus der griechischen, politischen philosophie. Oikos – das haus. Im sinne von alles, was sich um das haus respektive den bauernhof herumtummelt. Der private, nicht nicht-öffentliche raum, im gegensatz zur Polis, dem öffentlichen raum.

Ich konnte als kind ganz lange nicht begreifen, wie man in einer welt leben kann, wo man draußen dieselbe sprache spricht, wie zu hause. Dann machte ich die erfahrung, dass dieses spiel zwischen oikos und polis, das ist gar nicht so ungewöhnlich in der heutigen gesellschaft.

Man trifft sich in der polis, hier spricht man deutsch, man befolgt die deutsche arbeitsplatzknigge. Unter sich klären die Polen, die Araber und Türken arbeitstechnische probleme auf ihre art und weise. Aber es gibt dieses ungeschriebene gesetz, dass ich meinen türkischen kollegen nach der deutschen knigge behandle, nicht nach der polnischen oder türkischen. Zum polnischen teamleiter würde ich sagen:
– ey, der Krzysio, der regt mich so auf! Der hat wieder seinen job nicht gemacht, ich muss es jetzt machen. Ich sag Dir, dass nächste mal! Rede mal mit diesem… , dabei gerne laut und theatralisch werden.
Im deutschen arbeitsumfeld sagt man:
– Es ist dem arbeitsklima nicht dienlich, wenn ein kollege seine pflichten vernachläßigt und erschwert auch unnötig die erfüllung meiner.

Familiengefühl ist so ein schönes beispiel. Sehr stark bei den Türken, den Arabern und Polen. Man freut sich, dass man ähnliche traditionen in den jeweiligen oikoi hat, traditionen, die bei den deutschen, sprich in der Polis, überhaupt nicht zu finden sind. Da sagt der türkische arbeitskollege:
– Ja, bei uns Türken ist das so, wie bei Euch Polen. Die großeltern kümmern sich um die enkel, die kinder um die großeltern.

Zwanzig minuten später regt sich derselbe Türke auf [ich versuche es, so gut wie ich’s hinkrieg.]:
– Ihr neu-berliner! Ihr habt von nischt eine ahnung! Weiß nit mal, was da Buga ist. Buga, so sagen wir Berliner zu Britz.

Wir. Uns. Nationalität. Schwieriges thema in Deutschland. Unter emigranten schmeißt man sich manchmal sachen an den kopf, die man unter deutschen so nicht sagen würde. „Weiß nicht, von wem der zucker ist. Kannst gerne nehmen. Du als Polin hast ja kein problem damit, wenn etwas vom laster gefallen ist“. Meinen Griechen bezeichne ganz liebevoll als „halbheiden“. Und das, obwohl keiner von uns besonders gläubig ist.

Identität. Mit verschiedenen identitäten benimmt man sich auch verschieden. Wenn ich im deutschen kreis einen abend verbringe, gibt es immer wieder überlegungen zum thema Drittes Reich, Nazis und Hitler, die ich für mich behalte. Für mich gibt es kein man darf doch noch das sagen dürfen. Ich sag es einfach nicht. Weil mir mittlerweile bewusst geworden ist, dass,
obwohl wir hier beisammen sitzen und ich dazugehöre:
Es gibt einfach dinge, die hier nicht hingehören, was in der welt einer meiner anderen identitäten kein größeres ajwaj wäre.

Verschiedene identitäten vermischen sich auch. Ich sag ganz klar:
Mit den leuten, die heute in der polnischen regierung sitzen, habe ich nichts zu tun. Aber dieses deutsche bewusstsein ein tätervolk zu sein, von dem ich oben gesprochen habe, dass schwappt dann bizarre weise in mein polnischtum. Es bringt mich dazu, mich doch in einer art und weise für die regierung drüben verantwortlich zu fühlen. Wir wussten nichts von Auschwitz zieht einfach nicht. Ein urwald im osten Polens wird abgeholzt und ich wusste
tatsächlich von nichts. Dabei hätte ich auch bleiben können, dass es an mir vorbeigegangen ist. Tja, dann stand ich da und stellte fest, dass sogar mein eigener in Oslo lebender bruder wochenlang sich über die umweltpolitik Polens aufgeregt hat, während ich nichts wusste.

War schon richtig deprimierend, als ich im zuge der letztenpräsidentschaftswahlen in Frankreich mir bewusst wurde, dass ich, im gegensatz zu anderen leuten, nicht so leicht gebrauch machen kann von meinem wahlrecht. Ich kriege keine wahlbenachrichtigung nach hause geschickt. Ich bin zwar französische staatsbürgerin, darf erst wählen, wenn ich mindestens ein halbes jahr an einer französischen botschaft respektive französischen konsulat gemeldet bin. War ich zu dem zeitpunkt nicht. Um von meinem polnischen wahlrecht gebrauch zu machen, müsste ich erstmal überhaupt beweisen, dass ich polnische staatbürgerin bin. Dann papiere aus zwei bis vier ländern zusammenkriegen. In Deutschland bin ich auch noch nicht eingebürgert. Ein Wahlrecht, von dem ich ohne bürokratische hürden gebrauch machen kann, habe ich nur in Berlin, weil ich mittlerweile über ein halbes jahr in Berlin gemeldet bin. Während der präsidentschaftswahlen war nicht mal das der fall, sprich, ich war in einer situation, wo ich halb Europa abtelefonieren müsste, um irgendwo von meinem wahlrecht gebrauch zu machen.

Dazu kommt noch, dass ich in einem haushalt großgeworden bin, wo es man nie zu wahlen gegangen ist. Meine mutter sieht sich anarchistin, mein vater abnegat. Keiner von denen sah einen sinn dahinter vom polnischen oder französischen wahlrecht gebrauch zu machen. Man wohne ja schliesslich nicht dort und es sei ja so ein aufwand mit den behördengängen und so.

Wieso kann man nicht dort wählen, wo man wohnt? Um auf die Alten Griechen zurückzukommen, die oben erwähnten, Griechenland, die wiege der demokratie. Wahlrecht hatten freie griechische staatbürger. Da sind wir schon ein wenig weiter:
Da es keine sklaverei mehr gibt, sind wir alle frei und dürfen dementsprechend wählen gehen. Auch frauen haben mittlerweile ein wahlrecht. Nur an der staatsbürgerschaft harpert es noch, auch hier zählt die stimme der Barbaren nicht.

Eine polnische freundin von mir ist vor einem jahr eingebürgert worden. Sie findet es äußerst skurril, dass sie, die sich nie mit Deutschland zu hundert prozent identifizieren wird, die deutsche staatsangehörigkeit hat, während ich…

Eine wahlbenachrichtigung hat sie bekommen. Selber würde sie wahrscheinlich nicht hingehen, aber sie weiß, wie wichtig das für mich ist. Sie interessiert sich überhaupt nicht für politik, wir diskutieren auch selten darüber. Paar mal kamen wir dann doch darauf zu sprechen. Sie gab ihres zum besten und wartete auf einer reaktion von mir. Worauf ich den gesetzlichen und ideengeschichtlichen hintergrund darstellte, gerne im tonfall eines scharfen sarkasmus.

Letztendlich haben anscheindend diese vorträge was gebracht, weil sie sich tatsächlich verpflichtet fühlt, zur urne zu gehen. Nur, dass sie nicht weiß, wo sie ihr kreuzchen setzten soll.

Wenn mir das so wichtig ist, dann soll ich ihr sagen, für wen sie abstimmen soll. Auf diese weise bin ich doch zu einer art wahlrecht in der Bundesrepublik gekommen.

Ich denke, dass meine liebe zu Berlin auch daher kommt, weil es eine versinnbildlichung meiner identität ist. Gewaltsam in zwei geteilt, jahrzehntelang versucht, wieder vereint zu werden. Dann sollte zusammenwachsen, was zusammengehörte. Was bis heute nicht wirklich passiert ist, statt dessen entstand ein riesengroßer flickenteppich an verschiedensten stadtviertel, jeder steht für etwas eigenes und trotzdem ist Berlin eins. Vereint.

Mein onkel sagt immer ganz andächtig:
– Polska, Francja, Norwegia, Bawaria, teraz Berlin. MówiÍ Wam, Klarencja, to farajntes
ojropa!
Vereintes europa. Vereint in einer person. In mir.

Was ich mir und Euch wünschen.

And the Beat goes on…

In Oslo haben wir im Wohnzimmer nur ein Fenster, dafür ist es riesengroß.

BabyBruder hängt aus dem Fenster heraus, in der einen Hand den Scheibenwischer, mit der anderen Hand sich am Fensterrahmen festhaltend. Auf seinen Wunsch drönnt Reaggee. Mooggie lehnt an meiner Schulter und erkundigt sich, ob sie jetzt schon einen Rechner bekommen kann. Die Musik verblödet uns. Ich liebe Jazz.

Nach einer Stunde ist BabyBruder mit dem einen Fenster fertig.

Ich geh und schau nach meinen Auberginen. Dies ist ein perfekter Moment.

Das ist ein Text, den ich im April 2010, also vor nun mehr fast sechs Jahren geschrieben habe. Es hat was beruhigendes, er ist sechs Jahre alt. Er beschreibt, dass es vor sechs Jahren perfekte Momente gab. Vor sechs Jahren war alles anderes und auch gut und nun ist es auch gut, wenn auch anders, als man es sich vor sechs Jahren hätte vorgestellt. Auch sechs Jahre danach gibt es perfekte Momente.

Das riesengroße Fenster gibt es nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, wie das Bad aussah, ich weiß nicht mal mehr, welche Hausnummer es war. Vielleicht liegt es daran, dass die Wohnung im Nachhinein nicht so wichtig war, vielleicht liegt es daran, dass es eine sehr bedrückende Zeit war. Bedrückend wie auch immer, perfekte Momente gab es trotzdem. Der springende Punkt ist, dass es mir damals als ein ziemlich wichtiger Teil meines Lebens erschien und ich mich nun an bestimmte Einzelheiten nicht erinnern kann.

Andere Dinge ändern sich nie. BabyBruder hört bis heute noch Reaggee, dafür ist es schwierig ihn dazu zu bewegen Fenster zu putzen. Jazz — mmm — immer noch meine große Liebe. Die Auberginen habe ich erst letzte Woche gemacht. T. liebt meine Auberginen, zu dem Zeitpunkt, als der obere Text geschrieben wurde, gab‘ T. in meinem Leben noch nicht. Heute kann ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen.

And the beat goes on. Was ich mir und Euch wünsche.

War’s das, Leute?

Jedwede form von erzählung hat ein ende. Auch bei veröffentlichten tagebüchern weiß man, wann ende ist: Spätestens, wenn der mensch von uns gegangen ist. Blogs können sich jedoch in die unendlichkeit ziehen. Ich kann mich immer wieder dafür entscheiden, weiter zu schreiben. Ich versuche seit jahren zu schreiben und dachte, ich bin wieder da: Ich habe gerade zwei einträge veröffentlicht.

Ich wollte weiterschreiben, wusste aber nicht mehr, wo weiter. Ich versuchte an ältere einträge anzuknüpfen, dass bin ich aber nicht mehr. War die pause nicht bloß eine pause, sondern das ende dieses blogs?

Leute und orte sind verschwunden, neue leute und orte sind dazugekommen. Die Rote Lillie und der Teetrinker sind aus meinem leben verschwunden und somit auch die Rose. Die Wortgewandte kommt mir gar nicht mehr so wortgewandt vor die GroßeOhrringeTrägerin trägt keine großen ohrringe mehr. ICA wurde an Coop verkauft und auf Aker Brygga war ich vor zwei jahren vielleicht mal. Den Coffeeshop nutz ich kaum noch, ich scanne viel ein und drucke es ggf. aus. Mittlerweile wohne ich im osten von München, Neuhausen ist kein teil meines lebens mehr.

Ich hatte mir erst überlegt, einen völlig neuen blog anzufangen, aber das wäre dann doch zu umständlich, weil ich einige dinge behalten möchte. Alte einträge werde ich jedoch nach und nach löschen, vielleicht nach und nach darauf zurückkommen. Für mich selber möchte ich ein buch binden und auf nachfrage wird man es wahrscheinlich auch zugeschickt bekommen.

Es wird anscheinend zeit für \documentclass{scrbook}.

Was ich mir und Euch wünsche.